Rezensionen

LYRELEY. Poesie aus einem Vierteljahrhundert

Rezension von Elfriede Bruckmeier

Dagmar Fischer
LYRELEY
Poesie aus einem Vierteljahrhundert
Verlagshaus Hernals, Wien 2015, 158 Seiten
ISBN 978-3-902975—29-4

Liebeslyrik in unserer poesiefernen Zeit, geht denn das? Ja, es geht! Eine Reihe selbstständiger, starker Frauen hat es vorgemacht, unter ihnen Dagmar Fischer. Heute sind es „Beziehungen“, man nennt auch die Tätigkeit bei ihrem „Vogel“ – Namen, aber die Sehnsüchte, Glücksgefühle, Verletzungen, Treuebrüche und  der Trennungsschmerz sind noch genauso Themen wie zu Zeiten der Droste.

Dagmar Fischer, auch Lyreley genannt, hat ein großes Plus: sie liest ihre Gedichte selbst und das wunderbar, mit einem Gespür für das richtige Timing. Es ist nicht zwingend, dass die lesende Lyrikerin gut aussehen muss, aber auch das hilft! In Performances und musikalischen Lesungen gelingt es ihr, die Gedichte den Zuhörern gleichsam „einzuschreiben“, man schätzt die kunstvollen Formulierungen und möchte gerne zu Hause nachlesen. Und so kam es, dass 4 ihrer 5 bisher veröffentlichten Lyrikbände bald vergriffen waren. Nun hat sie einen Auswahlband aus 25 Jahren vorgelegt. Es sind empfindsame lyrische Gebilde, die in diesem Band versammelt sind. Doch viele haben „einen Sprung in der Schüssel“, so dass aus dem Schönklang unversehens ein dumpfer Ton entsteht, der die Himmelstürmer durch eine unvermutet einsetzende kunstlose Alltagssprache auf die Erde zurückholt.

Besonders berührend das Gedicht „Nach dem Besuch von Auschwitz oder jeden Morgen beim Bürsten meiner Haare“ Es geht um Berge von Haaren, Schuhen und Koffern und erst die Lakonie der letzte Zeile „Dann putze ich mir die Zähne“ macht das Grauen vollständig.
Dagmar Fischer, Jahrgang 1969, hat Jus studiert und Sport, und sie hat im universitären Bereich und als AHS Lehrerin gearbeitet. Das bedeutet: sie hat Lebenserfahrung. Dem Thema Liebe gleichwertig zur Seite gestellt ist das Thema Politik, nicht als Tagespolitik zu verstehen, sondern als Sorge um die Gemeinschaft, um die Schwächeren, die auf der Strecke bleiben, um Widersprüche und Grausamkeiten in der Rechtsprechung und  bei der Polizei.

Ein kleiner Appetithappen, willkürlich herausgegriffen aus dem schönen Gedichtband:

Szenario

Wenn die Welt untergeht
Mit wem würdest du dann
sterben wollen?

Mit dir natürlich
deine Hand haltend

Ich bin gerührt

Und warum
frage ich
willst du dann nicht
mit mir leben?

Zum Stil ist zu sagen: sie findet originelle Worte wie „volltontrunken“, Formulierungen wie  Abschied geben und nehmen. Dass sie keine Angst vor dem Reim hat, gefällt mir. Ihre Gedichte kann man sich leicht merken, man könnte sie singen. Daher ist es ganz natürlich, dass sie mit Musikern zusammenarbeitet. Der Jubiläumsband ist auch als CD erhältlich, dort wird die Lesung wunderbar ergänzt durch Musik von Stephan Brodsky am Marimbaphon. Auch wer Hörbücher nicht mag und lieber ein festes Buch in Händen hält, dem sei diese Publikation wärmstens ans Herz gelegt.

Elfriede Bruckmeier, in: Literarisches Österreich (2016/1)

Das Lächeln der Sterne

Rezension von Manfred Stangl
Dagmar Fischer
„Das Lächeln der Sterne“
edition art science, Wien 2016,
ISBN: 978-3-902864-62-8

Was haben wir der Welt angetan, fragt die Autorin in einem ihrer Gedichte, „die reine Vernunft sie hat alles beschmutzt“, „der Diener hat sich selbst an die Spitze gestellt“, „es ist unglaublich – aber kehrten wir um die Erde würde uns noch immer alles vergeben“.

Wie gut Spiritualität, Politik und Poesie zusammenpassen – ja zusammengehören – zeigt dieser Gedichtband eindrücklich. Allen Unkenrufen moderner Ideologen zum Trotz. Denn Fischers Lyrik ist hoch politisch, im schönsten Sinn der Bedeutung: sie kritisiert Umweltzerstörung und die inhumane Vorgangsweise gegenüber Flüchtlingen ebenso, wie sie vor der Gefahr der Entfremdung von unseren Wurzeln warnt. In ihrem berührenden Gedicht an das Meer („Stern aller Sterne“), das wie die Flut an den Strand gischt, unser Gewissen wachrüttelt, unsere Versteinertheit aushöhlt, beweist sie anschaulich, wie gut sich Poesie und ganzheitliches Weltbild vertragen. Poesie und Sinnlichkeit finden desgleichen ein Emulgat in diesem Band, und wie schön Romantik in einem nachmodernen Sinn sein kann, zeigt das Gedicht: „Lösch das Licht aus“, das da weitertönt: „lass die Mondin sprechen/zart und stark//Lösch das Licht aus//Berühre meine Stirn/Ist sie fiebrig/lass mich nicht gehen//Zu viele Stolpersteine/Stolpersteine/welcher Weg?//Lösch das Licht aus/lass die Mondin sprechen/Wen schenkt die Nacht?//Lösch das Licht aus/lass die Mondin wählen/sternenbedacht.“

Dass Spiritualität und Politik nicht zusammenpassen würden, reden uns die ein, die das heilige Ego an die Spitze stellen, meint Fischer – dem ist meinerseits nichts hinzuzufügen. Außer, dass die Form, in der sie uns dies mitteilt, eine höchst kunstvolle, metrisch und sprachlich sehr genaue ist – worin sich das Talent der Dichterin (die nicht von ungefähr den Künstlernamen Lyreley trägt) erweist.

Manfred Stangl, in: Pappelblatt, Herbst/Winter 2016

Anmerkung:
Die Rezension von Manfred Stangl erschien auch online auf literaturzeitschrift.de